Von Tabriz aus wollen wir weiter fahren zum Kaspischen Meer, um anschließend nach Süden abzudrehen. Sobald wir es über den hohen Bergkamm geschafft haben, ist von der zuvor kargen, felsigen Landschaft nichts mehr zu sehen. Statt dessen prägen grüne Laubwälder, Ackerflächen und Unmengen von Kühen das Bild. Anna schwört, es war ein besonders großer, schwarzer Stier, der ihr plötzlich - immer schneller werdend - vor das Motorrad rennt. "Oh shit" sagt sie noch, dann liegen ihr Motorrad und die Kuh auf der Seite. Zum Glück passiert weder Anna noch der Kuh etwas. Sofort sind wir umringt von Iranern, welche aus den angrenzenden Geschäften und dem Friseur zu Hilfe eilen. Scheinbar hat auch jemand einen Krankenwagen gerufen, welcher in Nullkommanichts zur Stelle ist, aber nicht gebraucht wird. Nur die arme Zoey (Annas Motorrad) musste ihre Scheibe lassen und blickt nun etwas geknickt drein.
Nach einer kurzen Verschnaufpause fahren wir sehr langsam weiter. Bitte jetzt nur noch ein Hotel und viel Ruhe. An der Küste werden wir fündig, wenn das Zimmer auch teuer ist. Ach so, hoppla, heute nächtigen wir also in einer Suite! Und das mit Meeresrauschen und Sandstrand. Leider ist dieser aber vom allgegenwärtigen Müllproblem des Irans nicht verschont geblieben.
Weil wir am nächsten Tag im Verkehrchaos von Rasht den weiteren Verlauf der Küstenstraße nicht finden können, biegen wir eben wieder nach Süden ab. Wir fahren erneut durch karge Berglandschaften bis in das hübsche Städtchen Qazvin, wo wir spontan 2 Tage bleiben, um günstig etwas auszuspannen. Ausgiebig schlendern wir durch die Märkte, von Obst über Fisch bis zu Schafsköpfen ist hier alles zu haben. So manch einer schmückt hier sein Gefährt übrigens mit dem ein oder anderen Teppich. Das sieht gemütlich aus, Daniel wird ganz neidisch.
Bewaffnet mit den GPS-Koordinaten eines Hotels in Teheran, brechen wir schließlich auf, um die Hauptstadt des Landes zu erkunden. Unterwegs fahren wir am einzigen aktiven Atomkraftwerk des Landes vorbei, welches bei uns für so viel Trubel sorgt. Im Stadtgebiet Teheran wohnen ca. 15 Millionen Menschen. Der Verkehr in Teheran ist zwar dichter als im restlichen Land, aber wir meistern das inzwischen schon ganz routiniert. Teheran ist laut und echt groß. Wir schlendern an hunderten von Geschäften vorbei, erkunden mit der U-Bahn etwas die Stadt und finden heraus, dass nahezu alle großen und modernen Gebäude Banken sind. Die Abende hier lassen wir mehr als einmal mit frischen, reifen Kakis und anderen Leckereien ausklingen.
Wir kommen hier auch vermehrt mit der Ungleichbehandlung von Männern und Frauen in Kontakt: In der U-Bahn gibt es Wagons nur für Frauen, und in Shisha-Bars wird Anna der Eintritt verwehrt. Frauen rauchen hier nicht in der Öffentlichkeit - das war uns bisher gar nicht aufgefallen. Ungewohnt schnell haben wir dieses Mal genug von der Großstadt, und führen unseren Weg nach Süden fort. Wir übernachten in der Stadt Kashan, wo es sehr alte, lehmverputzte Häuser zu bewundern gibt, deren Dächer zu kleinen Kuppeln gemauert sind. Anna ist ganz aus dem "Häuschen"!
Hier treffen wir außerdem auf einen deutschsprachigen Iraner, welcher viele Jahre in Frankfurt gelebt und gearbeitet hat. Eifrig probiert er seine Deutschkenntnisse an uns aus, und schwärmt dabei von der Region sowie seinen zahlreichen Ausflügen nach Dubai. Interessant! Weiter im Süden, etwa in der Mitte des Landes, kommen wir in Isfahan an - der "Perle des Orients". Die Stadt ist wahrlich ein Schmuckstück! Parks laden zum Picknicken und Verweilen ein.
Der berühmte Imam-Platz mit dem angrenzenden Basar, Palast und der Moschee ist wirklich riesig. Das heutige Zentrum Isfahans wurde erbaut, als die Hauptstadt im ausgehenden 16. Jhd. von Qazvin hierher verlegt wurde. Abertausende armenische Künstler wurden herangezogen, die Bauwerke auszuschmücken, weshalb noch heute Christen angesehene Bürger der Stadt sind. Dank dieser Pracht wurde Isfahan zum Kern der Seidenstraße und somit des Handels zwischen China und Europa.
Zum ersten Mal im Iran finden wir ein touristisches Angebot an Hotels, hübschen Einkaufsstraßen und sogar einem italienischen Restaurant vor! Ihr müsst wissen, dass Restaurants im Iran normalerweise sehr selten sind (von Fastfood einmal abgesehen). Wir werden von einem älteren Herren angesprochen, der fragt, ob er uns etwas über den Platz erzählen kann. Wir stimmen zu und hören einen längeren Monolog mit durchaus interessanten Details. Natürlich arbeitet der gute Mann eigentlich hier und will am Ende eine Entlohnung. An solche "Touristenfallen" sind wir schon gar nicht mehr gewöhnt! Als lebendige Attraktion dürfen wir auch hier wieder für das ein oder andere Foto posieren:
Beim Bummeln durch die Stadt läd uns ein Teppichhändler spontan in sein Lager zum Tee ein. Wir lernen seine Tochter mit Ihren Freundinnen kennen und werden in schüchternem Englisch ausgefragt. Natürlich dürfen wir auch einige der Teppiche begutachten, und lernen die verschiedenen Qualitätsmerkmale und Techniken kennen. Einen Teppich kaufen wollen wir dann allerdings doch nicht, obwohl sie uns wirklich gefallen:
Eine weitere Attraktion der Stadt soll die Brücke über den Fluss sein. Diese ist auch schnell gefunden - aber wo ist der Fluss? Scheinbar ist in den Wintermonaten der Fluss nicht zu Hause, und so können wir entspannt durch das Flussbett lustwandeln. Irgendwie etwas skurril.
Wir reißen uns schließlich los von der schönen Perle Persiens. Nördlich der Stadt Shiraz fahren wir die Unesco-Weltkulturerbestätte Persepolis an. Hier wurden vor unvorstellbaren zweieinhalb tausend Jahren über 14 Gebäude auf einem Plateu errichtet, mit Palästen, Harem und dergleichen. Erstaunlich viele Details sind hier erhalten, und wir starren lange in Ehrfurcht auf Säulen und Steinblöcke mit herausgearbeiteten Personen und Szenen.
Persepolis ist wirklich ein Highlight unseres Aufenthalts im Iran - nicht zuletzt deshalb, weil es nicht von Sklaven, sondern von entlohnten Arbeitern erbaut wurde. Wir gleiten würdevoll die Treppen hinauf und hinab, stellen uns vor, wie wir in den Harem getragen werden und wie uns Geschenke überreicht werden. Können wir jedem nur empfehlen!
Nach der ersten Fahrt in der Dämmerung erreichen wir am Abend die Stadt Shiraz. Entgegen landläufiger Meinung fahren auch die Leute im Iran nachts ganz normal mit Licht. Kurz vor der Stadt werden wir noch von einer Polizeikontrolle zur Seite gewunken. Aber wieder sind wir nicht zu schnell gefahren, sondern werden nur neugierig beäugt und im Iran wilkommen geheißen. In der Stadt angekommen, steuern wir ein kleines Hotel in den Gassen der Altstadt an. Diese sind so schmal, dass wir tatsächlich für ein entgegen kommendes Auto ein Stück rückwärts schieben müssen, damit wir aneinander vorbeikommen. Endlich angekommen, fährt Daniel unsere Rädchen mit Bravour über eine schmale Betontreppe hinauf in den Eingang des Hotels. Wir bekommen ein hübsches Zimmer mit riesiger Deckenhöhe, essen im überdachten Innenhof mit Brunnen und lassen den Abend mit einer wohl verdienten Wasserpfeife ausklingen.
Nach dem Frühstück am nächsten Morgen erkunden wir ein wenig die Stadt, inklusive des schiefen Turms von Shiraz. Er gehört zu einem Mausoleum in der Stadtmitte.
Die Stadt selbst ist quirlig und voller Geschäfte für Herrenkleidung. Wir treffen sogar einen Iraner, der uns auf deutsch ausfragt und in Shiraz wilkommen heißt. Den Nachmittag verbringen wir faul im Innenhof des Hotels. Wir spüren allmählich eine erste Reisemüdigkeit. So viele neue Eindrücke prasseln immer noch auf uns ein, aber wir nehmen sie immer selektiver wahr. Abends kommen wir mit zwei anderen Travellern ins Gespräch. Wir tauschen uns über Reisemöglichkeiten, Gefährte und Sitten in fremden Ländern aus. Bis weit in die Nacht hinein wird gequatscht und Shisha geraucht.
Bevor wir am nächsten Mittag wieder aufbrechen, sprechen wir noch mit drei anderen Gästen, welche jeweils mit ihren Fahrrädern bis in den Iran gefahren sind. Wir lernen, dass man auch durch die hier übliche Berglandschaft durchaus 120km am Tag radeln kann. Der Radfahrer aus England hat praktisch die gleiche Route wie wir hinter sich. Chapeau! Weiter im Süden machen wir einen Zwischenstopp in einer Stadt am Fuße eines Berges. Hier wird von Hand die Baumwolle für die vielen Klamottengeschäfte geerntet.
Wärend der abendlichen Einkaufstour hat Daniel die Gelegenheit, ein Fitnessstudio im Iran zu besuchen. Während des Trainings wird hier ruhig mal das Motorrad mit laufendem Motor in der Halle abgestellt. Die Angestellten unseres Hotels sprechen leider auch hier kein English, sind aber trotzdem sehr hilfsbereit und neugierig. Wir verstehen uns auch so - Ob Anna schon ein Kind erwartet, wurden wir schließlich gestisch schon mehr als einmal gefragt. Immerhin können wir mittlerweile schon die persischen Zahlen auswendig, ist ja ganz leicht:
Am nächsten Morgen brechen wir auf zu unserer letzten Etappe durch den Iran, bis zum größten Hafen des Landes in Bandar Abbas. Über diese 300 Kilometer ändert sich die Landschaft zusehens ins Wüstenhafte. Und es wird spürbar wärmer. Die "Vorsicht Kuh"-Schilder werden von "Vorsicht Kamele"-Schildern abgelöst. Und plötzlich erscheinen sie dann in der Ferne, groß aber grazil, und sehr zahlreich: Eine Horde wilder Kamele!
In Bandar Abbas finden wir das Meer endlich wieder. Schade, dass man hier nicht wirklich in der Sonne liegen kann, denn es hat knapp 30°C. Aber Frauen bleiben auch hier verschleiert, und die Uferpromenade ist zweckmäßig steil betoniert. Vor uns liegt nun die Aufgabe, einen Berg Papierkram zu bewältigen, um uns und unsere Motorräder zügig mit der teuren Fähre über den persischen Golf nach Dubai zu bringen, bevor unser Visum für den Iran ausläuft. Ein dickes Bündel Geldscheine mussten wir dafür hinlegen:
Der Iran hat uns viel Kopfzerbrechen bereitet. Die islamische Revolution spaltete das Land in konservative und fortschrittliche Mächte, die sich überall bemerkbar machen. Traditionelle Gewänder und schrille Leggings bzw. maßgeschneiderte Anzüge halten sich die Waage. Zahnlose Granatäpfelverkäufer preisen ihre Ware vor Handyläden an. Hinter funktionalen Hochhäusern stehen noch immer lehmverputzte Viertel. Wir wagen zu hoffen, dass sich das Land trotz seiner monarchischen Tradition wieder weiter öffnen wird. Anlass zur Hoffnung bildet der erste Händedruck zwischen einem iranischen und amerikanischen Offiziellen seit der islamischen Revolution, den wir hier kürzlich im Fernsehen verfolgen konnten. Wir wünschen dem Iran, dass die Sanktionen bald gelockert werden, damit endlich wieder Datteln exportiert werden können und das Land floriert!
Ach so: Angst hatten wir hier übrigens nie. Wir wurden oft beschenkt, aber nie bestohlen. Wir versuchen, uns von der Hilfsbereitschaft der Iraner eine Scheibe abzuschneiden. Falls wir zum 100. Mal gefragt werden "Iran, good?", sagen wir gerne wieder: "Yes, very good!"